living room music
Aufführungen
Theater Stok Zürich, 11. April 2008, 20:00
Theater Stok Zürich, 12. April 2008, 20:00
Theater Stok Zürich, 13. April 2008, 18:00
Forum Pfalzkeller St. Gallen, 24. April 20:00
Imprimerie Basel, 26. April 2008, 20:00
Imprimerie Basel, 27. April 2008, 11:00
Solovoices Svea Schildknecht, Francisca Näf, Jean J. Knutti, Bernhard Bichler
Regie Serge Honegger
Programm
John Cage: Songbooks (Auswahl), Forever and Sunsmell, Living Room Music, The Wonderful WidowWerke von Mischa Käser: Mirlitons
So klingen wir! – Programmheftbeitrag zur Konzeption von «living room music» «Wohnzimmermusik»; das könnte die aktuelle Hitparade sein, welche nebenbei aus dem Radiogerät erklingt oder eine Familie und Freunde, welche sich zum Musizieren zusammen gefunden haben. Diese Musik verbreitet in meiner Vorstellung eine Atmosphäre der Geborgenheit und würde sich den im Zimmer aufhaltenden Menschen wie ein schönes und bequemes Kleidungsstück um die Körper legen.
In der Möbellandschaft der Aufführung fehlt aber eine solche Begleitmusik mit integrativer Wirkung. Die Kompositionen von John Cage stellen das individuelle Tätigsein dieser vier singenden und spielenden Musiker und Musikerinnen dar. Das was sie tun, ist die Musik. Sie lachen, sie klopfen, sie gehen, sie summen, sie stottern, sie suchen, sie trinken, sie sitzen, sie blättern, sie schlafen, sie kriechen, sie erzählen, sie spielen. Wie durch eine Lupe sehen und hören wir jetzt unser Leben, wie gross es in seiner Erbärmlichkeit sein kann. Opernhafte Gesten kommen selten vor. Dafür brechen sich die Aktionen in ganz vielen unterschiedlichen Farben; Ironie, Humor, Traurigkeit, Ausgelassenheit, Stille, Zufriedenheit und Einsamkeit.
Das Heim dieser vier Musizierenden erscheint über weite Strecken als ein unheimlicher Ort. Ihre Handlungen finden parallel statt und ein Zusammenklang gibt es praktisch nie. Dies ist den Bewohnern und Bewohnerinnen dieses Wohnzimmers nicht in dieser Deutlichkeit bewusst. Dafür erleben und erfahren wir als Zuschauer die Verlorenheit und Unheimlichkeit dieser Existenzen. Wir blicken analog einer der Reality Shows im Fernsehen in eine austauschbare Stätte des modernen Lebens und sehen, dass das Knochengerüst dieser tönenden Welt dasjenige von Austauschbarkeit und Beziehungslosigkeit ist. Das ist unser Klang.
Cages Kompositionen sind die zeitgenössische Hausmusik, welche im 19. Jahrhundert für die Intimität der bürgerlichen Familie eine spezifische Bedeutung gewann, indem sie die Struktur dieser Intimsphäre vorzüglich widerspiegelte. Ihre heutige Form ist eine musikalische Ordnung, die sich aus zufälligen Koinzidenzen verschiedener Ereignisse innerhalb der Aufführungssituation ergibt.
Cages Musik vermittelt keinen Inhalt, der ihr immanent wäre: Vielmehr verlangt er von den Hörenden, dass sie ihre geistige Einstellung von Grund auf ändern: dass sie lauschen, wo es anscheinend nicht zu hören gibt und mit hellwachem Bewusstsein die Vorgänge um sich herum verfolgen, ohne sich in sie zu verlieren. Der «Wohnraum» wird dadurch zu einer Schöpfung seiner Bewohner und Bewohnerinnen, wovon wir als Zuschauer ein Teil sind. Nicht das Kulturgut als Werk rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern die Art des Umgangs mit ihm.
Das Bedürfnis des Menschen nach einem Wohnraum und einer Verortung in einer Gesellschaft, die Mobilität, Flexibilität und Ungebundenheit einfordert, wird mittels Cages Kompositionen auf produktive Weise hinterfragt. Um in einer solchen Welt Entscheidungen treffen zu können und etwas wie Heimat zu finden, ist eine geschärfte Wahrnehmung der Umwelt und des Menschseins erforderlich, wie sie die Rezeption von Cages Werken einfordert.