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Prestami tua moglie

Aufführungen
Theater Stok Zürich, 24. Oktober 2007, 20:00
Theater Stok Zürich, 25. Oktober 2007, 20:00
Theater Stok Zürich, 26. Oktober 2007, 20:00
Theater Stok Zürich, 27. Oktober 2007, 20:00
Theater Stok Zürich, 28. Oktober 2007, 15:00
Alte Fabrik Rapperswil, 15. März 2008, 20:00
La Cappella Bern, 16. Màrz 2008, 18:00
Alte Kirche Würenlos, 5. April 2008, 20:00
Kulturraum Thalwil, 6. April 2008, 17:00
Theater Stok Zürich, 18. April 2008, 20:00
Theater Stok Zürich, 19. April 2008, 20:00
Theater Stok Zürich, 20. April 2008, 11:00
Waldbühne Arosa, 2. August 2008, 20:30
Waldbühne Arosa, 2. August 2008, 20:30

Musikalische Leitung Denette Whitter
Regie Serge Honegger
Kostüme Simone Strässle
Maske Marianna Glauser
Licht Simone Altner

Violine Myrtha Indermaur
Klavier Denette Whitter / Charl de Villiers

Angela Stephanie Bühlmann
Margherita Jacqueline Oesch
Nanon Rosina Zoppi
Rissolin Andreas Früh
Gontrano Pawel Gregor Stach
Rabastoul Pascal Marti

Warum wir nicht glücklich werden – Programmheftbeitrag
«Leih mir Deine Frau aus!» – Ich könnte es heute tun und würde dafür in dieser Stadt nicht durch Blutrache ums Leben kommen. Die Unheimlichkeiten leerer Zimmer träte in den Hintergrund, der Spass wäre mir gewiss! Doch bald zeigten sich kleine Risse im Arrangement und die Ausgeliehene stünde mit mir in dieser Offenheit, die ich ihrerseits nicht eintauschen kann. Wie rette ich nun mich und sie?

Was hält die Menschen zusammen? Wofür entscheiden sie sich? Welches Vergnügen ist ihnen wichtig? Wozu sind Paare da, wenn nicht zum Vergnügen? – Und wenn es nicht auf das Vergnügen ankommt, worauf dann? Sechs Charaktere sind auf der Bühne zu erleben, die sich dieser Fragen gar nicht mehr sicher sind und daraus unterschiedliche Lebensstrategien entwickeln: Leidenschaft, Entsagung, Eifersucht, Draufgängertum, Gewalt und Rückzug.

Es sind gleichfalls sechs die Figuren, die einen Autor suchen: Die Zwischentexte von «Prestami tua moglie» sind verloren gegangen und die ursprüngliche Handlung lässt sich aus dem musikalischen Material nicht mehr rekonstruieren. Höchstwahrscheinlich basiert «Prestami tua moglie» auf dem Lustspiel von Maurice Desvallières «Prête-moi ta femme!», das mit grossem Erfolg Ende des 19. Jahrhunderts in Paris auf mehreren Bühnen gespielt wurde. Worauf es der aktuellen Produktion der Oper im Knopfloch ankommt, ist nicht die Vervollständigung des ursprünglichen Werks, sondern die Lust an der Beschäftigung mit den eingangs gestellten Fragen.

Die Handlung von Leoncavallos Werk um die Ausleihe einer Ehefrau (Angela) ist ein moralisches Schlüsselloch, durch das wir unsere heimlichen Neigungen beobachten können. In den verschiedenen Szenen werden die unterschiedlichen Beziehungsmuster und -konstellationen dieser sechs Figuren gezeichnet, die allesamt ihren eigenen Sehnsüchten, Wünschen und Trieben nachgehen, nachträumen und nachtrauern. Dem Verhalten liegt eine historisch konstruierte Traumatisierung zugrunde, die sich als Angst vor seelischer Not, vor Gewalt und Verlassenheit äussert. Keinem bleibt der Weg durch den Irrgarten der Gefühle erspart.

Im Kleid eines Lustspiels des 19. Jahrhunderts legt ein Werk wie »Prestami tua moglie« ein Stück patriarchaler Gesellschaftsstrukturen bloss, worunter die Männer und Frauen gleichermassen zu leiden haben. Auf der Theaterbühne darf die Frau zum Austauschobjekt degradiert werden und mit einem Gang in den verbotenen Garten liebäugeln. In der Realität ist die Richterhand der guten Sitten mit einem grossen Messer bewaffnet, dem niemand ungeschoren entkommt. Die richterliche Instanz, welche das Beziehungsspiel verdirbt, verkörpert sich in Rabastoul. Er richtet ein moralisches Terrorregime auf, das sich gegen jegliche Auslotung von sozialen und gesellschaftlichen Grenzen stellt.

Den Figuren ist allesamt eine gewisse Verlorenheit eingeschrieben. Ihr Zustand ist Ausdruck einer Lähmung des Menschen als gesellschaftliches Subjekt. Sie kranken an der steigenden Entbehrlichkeit von sozialen Gefügen und an der wachsenden Zentralisation von Gesellschaft und Staat. Sie zittern um ihren erbärmlichen Lebensunterhalt und ihre materielle Stellung im öffentlichen Leben. Sie haben keinen Ort mehr und werden nirgends vermisst. Der Wohlstand wirkt sich als Verkümmerung, Verarmung, Nivellierung der subjektiven Kräfte und der Gesellschaftsfähigkeit des Menschen aus.

Die Inszenierung zeigt eine Gruppe von Menschen, die in ein soziales Schema gepresst werden, das ihnen nicht erlaubt, ehrlich zu sein, sondern sie zu Lüge und Heuchelei zwingt. Die Figuren sind nicht in der Lage, wirklich zu lieben und stehen dem Missverhältniss von Person und Aussenwelt ohnmächtig gegenüber. Wie es Nanons Flucht ins Kinderzimmer im zweiten Akt exemplarisch zeigt, orientieren sich Angela, Rissolin, Gontrano und Margherita für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse an Abbildungen und Darstellungen. Nur zwischenzeitlich gelingt es Ihnen, sich der Realität zu bemächtigen und dafür erforderliche Handlungsstrategien zu entwickeln. Ganz Mensch sind sie in der Begeisterung am Spiel und in der Abnabelung von Gefühl und Daseinsform. Darin erleben sie die Untreue positiv als Möglichkeit zur Veränderung. Aus dieser Sicht ist der von Leoncavallo intendierte glückliche Schluss fast bedauerlich, gedeihen doch die sechs haltlosen Bühnencharaktere gerade an der Treulosigkeit sich und den anderen gegenüber.

 

Link
www.operimknopfloch.ch