DAS HERZ BEBT IM STILLEN - CHORISCHES MUSIKTHEATER

Musikalische Leitung: Michael Vogel
Inszenierung: Serge Honegger
Bühne: Peter Nolle
Kostüme: Marion Steiner
Licht: Andreas Enzler

Chor des Theaters St.Gallen

Tenor: Nik Kevin Koch
Bariton: Markus Beam
Flügel: Roberto Forno

Premiere: Theater St.Gallen, Lokremise, 20. März 2012

Fotos: © Theater St. Gallen / Toni Suter T+T Fotografie
Text: © Theater St. Gallen / Serge Honegger

ZUM STÜCK

Franz Schubert hat eine grosse Anzahl von Chorwerken für ganz unterschiedliche Besetzungen geschrieben. Neben einer ganzen Reihe liturgischer Chorwerke sind rund einhundertdreißig Kompositionen weltlicher Art erhalten, die einem breiten Publikum kaum bekannt sind. Ein grosser Teil der mehrstimmigen Gesänge besteht aus Gesellschaftsmusik, die damals der Freundschaftspflege und dem Gefühl des Miteinanders diente. Daraus ergibt sich ein faszinierender Kontrast zu den Themen des Fremdseins und der Heimatlosigkeit, die viele von Schuberts Liedern prägen. In «Das Herz bebt im Stillen » kam eine Auswahl dieser Schätze in einer szenischen Form zur Aufführung. Der Abend wurde vom Chor des Theaters St.Gallen und zwei Solisten bestritten. Die längeren und kürzeren Werke fügten sich zu einem kaleidoskopartigen Bilderreigen. Darin spiegelte sich Schuberts Vorliebe für literarische Vorlagen, die sich dem romantischen Weltschmerz, der Daseinsangst und der unerfüllten Liebe widmen.

KRANKHEIT SEHNSUCHT - PROGRAMMHEFTBEITRAG

Was ist das für eine Welt vor den Fenstern? Mit hochgeschlossenem Kragen sitzen sie in einem wohnlichen Raum und schauen auf das Geschehen, das sich draussen entfaltet. Sind sie Teil davon, oder befinden sie sich am Rand? Holt sie das Vergangene ein oder gelingt es ihnen, noch einmal aufzubrechen? Wollen sie überhaupt die Fenster öffnen oder ist es ihnen dort drin nicht viel wohler? Wenn das Sehnen stark genug wäre, dann … – das Reissen von Stricken liesse sich nicht ganz vermeiden, aber das Atmen fiele ihnen dann leichter. Sie lieben ihre Versehrungen und Krankheiten! Sie schaffen Raum für das, was nicht ist, und tauchen als schwarze Engel auf, die sie beschützen oder rächen, wenn sie es wagen sollten, sich zu verwandeln.

Ihr Blick verfolgt das Muster auf dem Boden, wo Schlingen und Ranken, schwarze Untiefen und brüchige Stege eine Landschaft bilden, die das wild Wuchernde zur festen Form gezähmt hat. Ist darin noch etwas vom Pulsieren und Pochen, Heben und Schwellen, vom Reissen und Beben zu erahnen oder hat sich schon zu viel Staub darübergelegt? – Aber da klingt doch noch etwas herauf! Ein Rest von Siegesgesängen ist darin verwoben! – Sie erinnern sich aber nicht mehr genau, worüber sie triumphiert oder was sie dem Untergang geweiht haben. Nach längerem Hinschauen entdecken sie, wie durch eine kristallene Wand, das Heer der Gefallenen. Verblüfft stellen sie fest, dass sie ihnen ähnlich sehen. Das sollen ihre Feinde gewesen sein? Diese armseligen Kreaturen in den leicht schimmernden Leichenhemden?

Wenn sich die Stille der Nacht ausbreitet, dann hören sie das Beben ganz besonders deutlich. Sie bestehen dann nur noch aus Herzschlägen, die einen Takt vorgeben, der unerbittlich auf sein eigenes Verlöschen zielt. Sie müssen gerettet werden! Sie bestehen darauf! Beruhigung finden sie, wenn Schnee fällt, ihre Zimmer mit flüsternden Stimmen belebt sind oder sie den finsteren Gedanken nachhängen, die sie wie alte Freunde immer wieder heimsuchen. Dann geht es ihnen gut, dann sind sie dort, wo sie sich auskennen und ihre Sprache gesprochen wird. Am meisten Angst macht ihnen der Gedanke, dass sie in die Freiheit entlassen werden könnten. An welche Unbekannten klammerte sich dann ihre Liebe? Würden sie sich dann noch im Spiegel wiedererkennen? Befänden sie sich für immer und für ewig auf der Wanderschaft und nisteten sich derweil Fremde in ihrem Zimmer ein? Plötzlich werden sie einer Weite gewahr, die aus den Klängen ersteht. Ist sie das gesuchte und erahnte Land?